Federn schneiden

Für die weitaus meisten Vogelarten auf der Welt ist Fliegen ein elementarer Teil ihres arteigenen Verhaltens. All diese Vogelarten, das sind über 97 Prozent der bekannten Vogelarten, sollen laut Ansicht des Verband der Zoologischen Gärten (VdZ), dem auch der Tiergarten Schönbrunn angehört, auch in Zoos fliegen können. Für wenige Arten ist das Fliegen hingegen auch in der Natur eine untergeordnete Bewegungsform, die in Zoos nicht unbedingt notwendig ist. 

Im Tiergarten Schönbrunn leben mehr als 80 Vogelarten. Einige der Vögel, wie Laufvögel und Pinguine, sind von Natur aus flugunfähig. Sechs Vogelarten werden bei uns im Tiergarten gezielt flugunfähig gehalten: die Roten und Rosa Flamingos, Krauskopfpelikane, Südlichen Hornraben, Rotfußseriemas und Halsbandtschajas. Diese Vogelarten verbringen auch in der Natur die meiste Zeit am Boden und/oder im Wasser. Sie suchen dort nach Futter, zeigen dort ihr Paarungsverhalten und ziehen dort ihre Nachzucht auf. In ihrem natürlichen Lebensraum fliegen diese Arten in erster Linie nur dann, wenn Nahrungsknappheit herrscht, Gefahr lauert oder klimatische Veränderungen es erfordern.

Wohlüberlegte Entscheidung

Der Tiergarten Schönbrunn hat sich bewusst dazu entschieden, diese sechs Vogelarten flugunfähig in offenen Außenanlagen zu halten. Diese Entscheidung beruht darauf, den Vögeln auf diese Weise basierend auf dem aktuellen Wissensstand die bestmögliche Haltung in großen naturnahen Lebensräumen (wie Teichanlagen) bieten zu können. 

Was bedeutet es für die Vögel?

  • Die angewandte Methode des Federnschneidens erfolgt gemäß dem Österreichischen Tierschutzgesetz (B.2. 2. Tierhalteverordnung §4. (6)) und ist für die Vögel absolut schmerzfrei. Es handelt sich dabei um abgestorbenes Gewebe – vergleichbar mit Haaren oder Fingernägeln.
  • Jenen Vögeln, die bei uns flugunfähig gehalten werden, werden die Federn an den Flügeln der Arm- und teilweise der Handschwingen gekürzt.
  • Es ist kein bleibender Vorgang. Mit jeder Mauser wachsen die Federn wieder nach. Daher erfolgt das Kürzen ein- bis zweimal jährlich.

Immer am Puls der Forschung

Das Wohlergehen unserer Schützlinge hat für uns stets Priorität. Deshalb werden die Haltungsbedingungen kontinuierlich an die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse angepasst. Langjährige Erfahrungen aus der Haltung der genannten sechs Vogelarten lassen darauf schließen, dass es bei ihnen zu keinen negativen Verhaltensveränderungen durch das Kürzen der Federn kommt.

Wie in vielen Bereichen der Tiergärtnerei ist insbesondere die belegbare Quantifizierung vom Wohlbefinden eines Tieres jedoch nach wie vor eine sehr große wissenschaftliche Herausforderung. Daher möchten die Tiergärten im Europäischen Zooverband verstärkt ethologische und physiologische Untersuchungen dazu durchführen. Die Forschung hat zum Inhalt, verschiedene Haltungssysteme von Vögeln miteinander zu vergleichen. 

Eine erste Studie wurde bereits veröffentlicht. Im Rahmen seiner im Tiergarten der Stadt Nürnberg entstandenen Doktorarbeit erforschte Tierarzt Lukas Reese die Auswirkungen des Flugunfähigmachens von Zoovögeln am Beispiel von Rosa Flamingos. Die insgesamt elf Autorinnen und Autoren der Studie, die in der Fachzeitschrift "Animals" veröffentlicht wurde, verglichen in 12 deutschen Zoos den Stresslevel der Vögel anhand des Stresshormons Corticosteron. Das Ergebnis: Der Flugfähigkeitsstatus hatte keinerlei Einfluss auf die Federcorticosteron-Konzentration. Weitere Forschungsarbeiten sollen folgen.