Gänsegeier in Bulgarien

Im Jahr 2001 stellte der Verein der Freunde des Tiergarten Schönbrunn erstmals dem bulgarischen „FWFF - Fund for Wild Flora and Fauna“ die nötigen Mittel zur Verfügung, um eine erste Bestandsaufnahme der Bartgeier in der Bergregion um die Kleinstadt Kotel zu ermöglichen. Dieser ersten Aufzeichnung der dort lebenden Greifvögel folgten weitere Freilandstudien, die deutlich machten, dass dieses Gebiet nicht nur ein Brutgebiet von Bart- und Schmutzgeiern ist, sondern sich auch zur Wiederansiedelung des Gänsegeiers hervorragend eignet.

Der Gänsegeier (Gyps fulvus) ist ein beeindruckender Vogel mit einer Flügelspannweite von 2,40 bis 2,80m. Dieser gesellige Vogel brütet in Kolonien und kann bis zu 40 Jahre alt werden. Vermutlich leben Gänsegeier in einer monogamen Dauerehe und die Eltern ziehen ihre Jungen gemeinsam groß. Jedes Jahr wird ein einziges Ei gelegt, aus dem ein wahrer „Nesthocker“ schlüpft, der 110 bis 115 Tage intensiv gehudert wird, und sogar nach dem flügge werden noch von den Eltern gefüttert wird. Gänsegeier ernähren sich ausschließlich von toten Tieren. Doch die hartnäckigen Verleumdungen als Räuber von Schafen und Kälbern haben dazu geführt, dass bei diesem Vogel, der einst in ganz Eurasien weit verbreitet war, ein dramatischer Rückgang des Bestandes in ganz Europa zu verzeichnen war, bis hin zur Ausrottung in den Alpen und Karpaten.

Seit dem Jahr 2003 bemühen sich nun der FWFF-Kotel (Fund for the Wild Life Flora and Fauna-Kotel) und das Naturhistorische Museum Kotel um die Wiederansiedelung dieses Vogels in Bulgarien. Eine der größten Schwierigkeiten dabei war jedoch die Verwendung von Giftködern, die gegen Raubfeinde von Haustieren, wie Wölfe und Luchse, ausgelegt wurden. In geduldiger Aufklärungsarbeit und unter Miteinbeziehung der Hirten und Bauern gelang es Emilian Stoynov, dem Gründer und Direktor des FWFF, eine grundlegende Änderung in der Einstellung gegenüber Wildtieren im Allgemeinen und  Greifvögel im Besonderen hervorzurufen. Gleichzeitig wurde praktische Hilfe zum Schutz der Haustiere, welche die Lebensgrundlage der dortigen Bevölkerung darstellt, angeboten: Die Schenkung von Karakachan Hirtenhunden. Dieser Hirtenhund, der etwa 50 cm groß wird, war bereits bei den alten Thrakern vor mehr als 4000 Jahren als zuverlässiger  Beschützer seiner Herdeberühmt, und noch heute kann man Abbildungen dieser Hunde auf thrakischem Goldschmuck sehen. Im Laufe der Jahre wurden den dortigen Bauern über 30 Karakachan Hirtenhunde von den Freunden des Tiergarten Schönbrunn geschenkt und nun erlernt bereits der liebevoll aufgezogene Nachwuchs dieser Hunde seine Aufgaben als Hirtenhunde.

Am 28. August 2007 war es soweit: Die ersten drei Gänsegeier wurden in den Bergen um Kotel in die Freiheit entlassen. Alle drei Vögel waren in Menschenobhut gezüchtet worden und das Experiment gelang: Die Tiere waren in der Lage ausdauernde Flüge zu unternehmen und sich selber zu ernähren. 2009 wurden fünf weitere Gänsegeier frei gelassen und siedelten sich erfolgreich in den Bergen an. Angezogen durch die Gänsegeier sind nun auch Schmutzgeier regelmäßig in den Bergen um Kotel anzutreffen, und sogar Steinadler und Östlicher Kaiseradler wurden an den Futterplätzen gesichtet.

Aufgrund der guten Zusammenarbeit zwischen FWFF und der  Bevölkerung werden keine vergifteten Köder mehr ausgelegt und ein nächster Schritt zur Aufwertung dieser Ökoregion wurde getan: Die Wiedereinführung und Förderung der Wander-Weidewirtschaft. Dies bedeutet einfach, dass die Schafherden je nach Jahreszeit in höhere oder niedere Bergweiden geführt werden, so dass sich einerseits die abgegrasten Weiden „erholen“ können und andererseits die Berglandschaft von dichtem Buschwerk frei bleibt und so ein optimales Habitat für Greifvögel darstellt.

Im Juni 2012 startete ein 6 Jahre dauerndes EU-Life+ Projekt mit dem Titel „Conservation of Birds of Prey in Kresna Gorge (LIFE for Kresna Gorge)“, welches zu 50% aus EU-Mitteln finanziert und auch vom Verein der Freunde des Tiergarten Schönbrunn mit je € 4000 pro Jahr mitunterstützt wird.

Dieses Artenschutzprojekt ist ein glänzendes Beispiel dafür, wie sich eine bescheiden angelegte Initiative durch kontinuierliche Förderung über viele Jahre, gemeinsam mit zielgerichteten und zuverlässigen Partnern, in eine weit in die Zukunft reichende Idee entwickeln kann:  Ein großes Naturschutzreservat am Balkan in den bulgarischen Grenzgebirgen zu Mazedonien, in dem nicht nur große Greifvögel, sondern auch Wölfe, Bären und Luchse einen Platz zum Leben finden.